Das Märchen vom Coronatest: Werden die Menschen unzureichend behandelt und getestet?
MEINUNG. Am 22. März wurde bekannt, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel Kontakt zu einem Covid19-Infizierten hatte. Mittlerweile wurden bei der Kanzlerin drei Tests gemacht, alle negativ. Eine erstaunliche Geschwindigkeit, wenn man bedenkt, dass „normale Bürger“ in der selben Zeit einmal getestet wurden und bis heute kein Ergebnis haben.
Immer mehr Menschen beschweren sich über das unabgestimmte Verhalten zwischen den kassenärztlichen Vereinigungen, den Gesundheitsämtern und dem Träger der 116117, der kassenärztlichen Bundesvereinigung. Und tatsächlich haben wir bei unserer Recherche zu diesem Artikel unglaubliche Probleme festgestellt. Das größte scheint dabei die Kommunikation innerhalb der Behörden zu sein. Aber auch die unterschiedlich langen Wartezeiten auf Coronatestungen und vor allem auf die Ergebnisse lassen Zweifel aufkommen, ob unser System tatsächlich so gut ist, wie behauptet wird.
Im Dezember 2019 ist das neue Coronavirus Sars-CoV-2 zuerst im chinesischen Wuhan aufgetreten. Von dort hat es sich bis Europa und in die USA weiter verbreitet. Über eine Million Menschen auf der Welt sind betroffen. Die Dunkelziffer soll je nach Region bis zu 50 Prozent höher liegen. Und auch in Deutschland scheint die Zahl der unentdeckten Fälle extrem hoch zu sein. Das liegt an den geringen Testungen. Erhöht werden können sie offenbar kaum, denn teilweise kommen die Labore nicht mehr hinterher. In Deutschland ist am Sonntag die Rede von 96.000 bestätigten Fällen. Die Bayerische Staatsregierung spricht von einer möglichen Dunkelziffer um die zehn Prozent. Alleine dadurch dürfte die Zahl der Infizierten längst im sechsstelligen Bereich liegen. Insider sprechen bereits heute von 120.000 Fällen. Und das klingt sogar plausibel.
Probleme mit Testungen
Eine Familie aus Pegnitz hatte sich bereits am 19. März über die 116117 gemeldet, weil die Mutter tagelang unter starken Symptomen litt. Die Frau hatte beruflich mit starkem Rückreiseverkehr aus Italien und Österreich zu tun. Man sagte ihr aber am Telefon, dass sie sich direkt im Risikogebiet hätte aufhalten müssen, um getestet werden zu können. Nun wurden die Beschwerden schlimmer, die junge Frau bekam Scherzen und Druck auf Lunge und Brustkorb. Sie litt unter schweren grippalen Symptomen, ein Antibiotikum schlug nicht an und der Hausarzt verwies nochmals an die 116117, weil er nichts mehr tun könne.
Über die Hotline erneut die Information: Sie erfüllen kein Testkriterien. Am 23. März wurden dann die Empfehlungen für Testungen geändert und die junge Mutter bat erneut um einen Covid19 Test. Alleine schon deswegen, weil sie ohne Negativtest keinen Termin für einen Lungenfunktionstest bekam. Über die Hotline sicherte man zu, „der Pandemiearzt meldet sich“. Nach vier weiteren Tagen, also am 27. März 2020, rief die 116117 zurück und schickte die gesamte Familie endlich in ein DriveIn Testzentrum nach Nürnberg. Seit dem wartet man nun auf das Ergebnis. „Neun Tage weiterer Ungewissheit“, sagt die 35-jährige Mutter, die auch ein chronisch immunkrankes Kind hat. Symptome hatte nun bereits die ganze Familie. Weil das Testergebnis noch aussteht, konnten/mussten auch keine Kontaktpersonen ermittelt werden. Nachfragen bei der KVB und dem Gesundheitsamt ergaben keine Gewissheit. Denn nirgends liegen Ergebnisse vor. Wurden die Proben verschlampt?
Kein Einzelfall, denn auch aus der Oberpfalz erreichte uns ein Fall, wo eine Intensivkrankenschwester mit Symptomatik getestet wurde. Am 24. März war die systemrelevante Mitarbeiterin im Testdrive Weiden. Ein Ergebnis bekam sie keines. Nach zahlreichen Nachfragen, dann die Antwort: „Ihr Ergebnis ist nicht eindeutig, wir müssen nochmal testen“. In der Folge klingelte gegen 23 Uhr ein Arzt in Schutzausrüstung und entnahm weitere Abstriche. Das Ergebnis: Bis heute noch offen.
Corona-Test ist wichtig
Schon vor dem Test auf das Coronavirus Sars-CoV-2 kann einiges schiefgehen: Beispielsweise könnten die Proben falsch entnommen worden oder sie wurden zum falschen Zeitpunkt entnommen. Aus diesen Gründen werden Patienten eigentlich mehrfach getestet. So wie die Bundeskanzlerin, die bereits drei Mal negativ getestet wurde. Im Fall der Pegnitzer Familie ist es bis heute noch nicht zu einem abschließenden Test gekommen. Am Montag will man die Mutter nochmal testen. Jetzt im Pegnitzer Testdrive, wo die Kapazitäten noch ausreichen und ein Ergebnis nach zwei Tagen vorliegt. Allerdings musste sich die Familie selbst durchkämpfen und wurde erst ernst genommen, als die Presse auf den Fall aufmerksam wurde.
Dabei ist der Test gerade beim Pegnitzer Beispiel so enorm wichtig. Nicht nur wegen dem schweren Krankenheitsverlauf der Mutter. Die sechsköpfige Familie könnte jetzt bereits wieder nachweislich gesund sein und wäre dann immun. Der Vater, der eine medizinische Ausbildung hat, könnte dort helfen, wo es derzeit „personell brennt“. Außerdem könnte die Familie gesundes Plasma spenden; für Schwerstkranke. Aber ohne Gewissheit ist das nicht möglich.
Weitere Familien beschweren sich
Schwer getroffen hat es Bayern, und im besonderen den Landkreis Tirschenreuth. Aus dem dort ansässigen Plößberg meldete sich eine eine Frau (54), die ebenfalls glaubt, der großen Dunkelziffer anzugehören. „Ich hatte alle Symptome der Viruserkrankung und fühlte mich alleine gelassen. Fast 14 Tage Fieber, kein Arzt lies mich in die Praxis. Das Gesundheitsamt teilte mir nur mit, dass wir als Familie zu Hause bleiben sollten. Irgendwie alles chaotisch. Hätte mich jetzt für die Forschung wegen Immunisierung oder Verwendung von Blutplasma gemeldet. Keine Antwort vom Gesundheitsamt“. Im Gegenteil: Die Behörde soll an den für Lebensgefahr zuständigen Notruf 112 verwiesen haben. Richtig wäre natürlich die 116117 gewesen. Die Plößberger Familie bekam nie einen Test, wohnt aber im bayrischen Epizentrum. Die 54-Jährige habe zudem das Starkbierfest in Mitterteich besucht.
Alles nur Einzelfälle? Hier der nächste. Eine Leserin meldet sich bei Bayern-Reporter. Sie war Ersthelferin, als eine Frau im Supermarkt neben ihr plötzlich zusammengebrochen ist. Später stellte sich heraus, das Opfer war mit Corona infiziert. Die Ersthelferin musste in der Folge 14 Tage lang in Quarantäne gehen, durfte nicht arbeiten, wurde aber auch nicht getestet. Obwohl sie Kontakt zur einem bestätigten Fall hatte. Aber die zeigte keine Symptome, weswegen ihr der Coronatest verweigert wurde. Die Mutter bringt dabei nun auch noch Ehemann und Kinder in Gefahr, die allerdings keine Quarantäne halten müssen, weil diese keinen direkten Kontakt hatten. Der Chef der Ersthelferin ist ebenfalls verzweifelt; er musste bereits zwei andere Ausfälle kompensieren. „Ich bin so sauer. Diese Frau ist Einkaufen gegangen obwohl Sie nicht hätte dürfen und hat vielleicht noch viel mehr Menschen angesteckt“, so die Mutter.
Behörden hüllen sich in Schweigen
Die kassenärztliche Bundesvereinigung, Träger der 116117, verwies auf Nachfrage unserer Redaktion an den Landesverband Bayern. Dort wollte man sich bislang nicht zu dem Thema äußern, auch die zuständigen Gesundheitsämter haben Presseanfragen unbeantwortet gelassen.